Startseite BundesländerBerlin Dollarzeichen im Auge: Über die Ökonomisierung der Gesellschaft

Dollarzeichen im Auge: Über die Ökonomisierung der Gesellschaft

von Frank Baranowski
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Ein Gastbeitrag von Matthias Burchardt für Peira – Gesellschaft für politisches Wagnis e.V.

(LNP) Das Fernsehen verspricht mit seinen Castingshows den Mythos vom schnellen Aufstieg zum Superstar, der keine Geldsorgen mehr hat; das Fernsehen suggeriert in den inflationären Quizsendungen, Wissen habe mit enzyklopädischem Wissen zu tun, das in der Wissensgesellschaft ungeahnte Wettbewerbsvorteile verschafft. Und in anderen Formaten des Privatfernsehens darf man sich als Zuschauer lustig machen über die Verlierer der Gesellschaft, was sich auf reale Entsolidarisierungstendenzen bezieht.

Auswanderer-Dokus deuten die Frage nach dem Mobilitätsimperativ im globalisierten Wirtschaftsraum. Ein englischer Starkoch sorgt für Vitamine unter den Bedingungen einer institutionalisierten Kindheit. Die Super-Nanny wendet sich dysfunktionalen Familien zu und kommuniziert, dass mangelnde Bildung zu sozialem Abstieg führt. Der Schuldnerberater zeigt der vom Statusverlust bedrohten Mittelschicht, wie man mit fehlendem Geld umgeht. Trödelexperten zeigen, wie man aus vermeintlichem Gerümpel Kapital schlägt. Modells erteilen unbeholfenen jungen Männern Nachhilfe in erfolgreicher Partnersuche und wirken damit symbolisch der Atomisierung der Gesellschaft entgegen. Restauranttester bringen angeschlagene Gastronomie-Unternehmen wieder auf Kurs. Plastische Chirurgen korrigieren Nasen, Brüste und Gebisse, damit Frauen „extrem schön“ und in Familie und Beruf endlich erfolgreich sind. Und Coaches helfen beim Abnehmen, bei der Erziehung von Haustieren oder der Eventisierung von Heiratsanträgen. Als Kuriositäten seien noch die RTL II-Shows „Hüllenlos – Auch nackt gut aussehen“ und „Rotlichtexperten im Einsatz“ genannt, wo nach dem Modell des Restauranttesters Bordelle, die nicht mehr ganz wettbewerbsfähig sind, modernisiert werden.

Es scheint keinen Lebensbereich zu geben, der nicht des medialen Coachings fähig, gar bedürftig wäre. Über die kleinen Schummeleien der Sender während der Produktion ist hinreichend berichtet worden, ebenso über deren Neigung, solche Formate für verdeckte Produktwerbung zu missbrauchen. All dies ist hinlänglich bekannt.

Mir geht es auch weniger um das offensichtliche ökonomische Interesse als um die Art und Weise der Sinnfabrikation und die impliziten Botschaften dieser Shows. Auffällig ist, dass die Sender bei der Inszenierung ihrer Hilfe meist die Formensprache des Religiösen bemühen: Betroffene schreiben verzweifelte Bitt- und Flehbriefe, der Experte wird als eine messianische Figur dargestellt, er fordert die Beichte ein und das Eingeständnis der Schuld, er nimmt das Leid der Betroffenen auf sich, er zürnt und predigt Umkehr, er verlangt ein Bekenntnis und gewährt schließlich Erlösung. Wer seine Fehler einsieht und sich an die Rezepte des Experten hält, wird fortan alle Verwerfungen und Unabsehbarkeiten des prekären Lebens meistern – wer scheitert, ist selbst schuld, weil er sich nicht an die Rezepte des Coaches gehalten hat oder vielleicht nicht ausreichend an den Mythos des „gelingenden Lebens“ geglaubt hat. Es stellt sich also die Frage: Welche Mission wird hier verfolgt? Und: Wozu sollen wir eigentlich missioniert werden?

Kontakt:
Peira – Gesellschaft für politisches Wagnis e. V.
Rainer Thiem
Bundesallee 119
12161 Berlin
Email: rainer.thiem@peira.org
Internet: http://www.peira.org

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