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19. Oktober 2024
Bayern

Historische Stunde im Bayerischen Landtag: Das Eis zwischen Tschechien und Bayern ist geschmolzen

(LNP) Der Bayerische Landtag hat heute eine historische Stunde erlebt. Zum ersten Mal sprach ein tschechischer Premierminister im Parlament des Freistaates Bayern. Es waren große Worte und große Gesten der Versöhnung. „Wir bedauern, dass durch die nach Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung vielen unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde“, nahm Petr Nečas zur Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg Stellung. Eindringlich warb er für eine enge Partnerschaft zwischen den beiden Ländern. Deutsche und Tschechen bildeten eine Schicksalsgemeinschaft, verbunden durch tausend Jahre fruchtbarer Nachbarschaft, die 1938 mit dem Münchner Abkommen endete. „Die gemeinsame Vergangenheit verpflichtet uns, für eine gemeinsame Zukunft zu arbeiten“, rief der tschechische Regierungschef den Abgeordneten und geladenen Gästen  zu.  –  „Velmi vas vitame!“ – Mit diesem kleinen Satz in tschechischer Sprache hieß Landtagspräsidentin Barbara Stamm den Gast willkommen. „Nach Jahrzehnten der Trennung, der Sprachlosigkeit und der Vorurteile auf beiden Seiten haben wir wieder zu einem freundschaftlichen Miteinander gefunden. Was für ein Glück, was für eine Leistung unserer beiden Völker!“, wertete Stamm das Ereignis.

Die Abgeordneten und die Gäste erhoben sich von ihren Plätzen, als Petr Nečas an der Seite von Landtagspräsidentin Barbara Stamm und Ministerpräsident Horst Seehofer den Plenarsaal betrat. Auch Bernd Posselt, der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, applaudierte. Er hatte mit Vertretern der Sudetendeutschen Landsmannschaft, der Ackermann- und der Seligergemeinde auf der Besuchertribüne Platz genommen.  Landtagspräsidentin Barbara Stamm dankte den Sudetendeutschen als Viertem Stamm Bayerns für ihren Anteil an der Annäherung der beiden Völker vor allem nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989.  „Nach dem von den Sudetendeutschen erfahrenen Leid der Vertreibung war und ist dies eine große historische Leistung“, sagte Stamm. Jetzt gebe es kein Zurück mehr, der Weg sei unumkehrbar. Wo früher der Eiserne Vorhang trennte, begegneten sich heute Menschen ganz selbstverständlich. Sie lernten voneinander, wollten einander verstehen und durch die Brille des anderen schauen. Manchmal veränderten sich Sichtweisen, manchmal würden neue Blickwinkel geöffnet, nicht immer sei man gleicher Meinung. „Das muss uns nicht beunruhigen. Zu viele schmerzvolle Erfahrungen mussten überwunden werden: die deutschen Gräueltaten im Nationalsozialismus und die verheerenden Folgen für Ihr Volk“, wandte sich die Landtagspräsidentin an Petr Nečas.

Jetzt aber gehe der Blick nach vorn. „Wichtig ist, dass wir Seite an Seite weitergehen. Wichtig sind unsere gemeinsamen Überzeugungen für eine gute, lebenswerte Zukunft in Europa“, betonte Barbara Stamm. Gerade das Miteinander von Tschechen und Bayern stehe für das Zusammenwachsen Europas. Die Landtagspräsidentin regte eine noch stärkere Präsenz Bayerns in Tschechien an, auch auf parlamentarischer Ebene. Das entsprach genau dem  Wunsch von Premierminister  Petr Nečas, der eine bayerisch-tschechische Parlamentariergruppe ins Spiel brachte, ebenso eine  gemeinsame tschechisch-bayerische Landesausstellung auf beiden Seiten der Grenze, um das Bewusstsein für die kulturelle Zusammengehörigkeit zu fördern. Der tschechische Regierungschef versprach, das Collegium Bohemicum weiter zu unterstützen, das sich mit Projekten zum deutsch-tschechischen und  bayerisch-tschechischen Zusammenleben beschäftigt.  Nečas schloss seine Rede mit dem Appell: „Lasst uns unterschiedliche Ansichten, neue Themen oder Hindernisse nicht fürchten, die auf diesem Weg warten. Lasst uns auf diesem Weg gemeinsam ausharren, wegen unserer Vorfahren und im Interesse unserer Nachkommen!“ Die Zuhörerinnen und Zuhörer im Plenarsaal erhoben sich von ihren Platzen und dankten dem Gast mit lang anhaltendem Beifall für seine Aussagen.

Die bewegende  Stunde  im Bayerischen Landtag erlebten auch Lehrer und Schüler aus dem Beruflichen Schulzentrum Waldkirchen im niederbayerischen Landkreis Freyung-Grafenau mit. Sie haben gleich nach der Grenzöffnung Kontakte in das Nachbarland geknüpft, arbeiten seitdem in vielen Ausbildungsberufen zusammen. Der Austausch von Lehrlingen ist selbstverständlich. Sie sind Brückenbauer und wurden dafür mit dem Bürgerkulturpreis 2012 des Bayerischen Landtags ausgezeichnet. Das Staatliche Berufliche Schulzentrum Waldkirchen steht als Beispiel für die 165 bayerisch-tschechischen Schulpartnerschaften mit wechselseitigen Besuchen von rund 6 000 Schülerinnen und Schülern. Der Delegation aus Waldkirchen   rief Landtagspräsidentin Barbara Stamm zu: „Es gibt nichts Wertvolleres als junge Menschen, die sich über Grenzen hinweg begegnen, voneinander lernen und gemeinsame Projekte auf den Weg bringen: Ihr lebt und verteidigt damit unsere gemeinsamen Werte von Freiheit und Demokratie. Ihr baut an unserer gemeinsamen Zukunft!“

Heidi Wolf
Pressesprecherin
Bayerischer Landtag – Landtagsamt
Pressestelle
Maximilianeum, 81627 München
Tel.: 089/ 41 26-26 01, Fax: -16 01
E-Mail: pressesprecher@bayern.landtag.de
Internet: http://www.bayern.landtag.de/

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