(lnp) Europäischer Forschungsrat (ERC) vergibt zwei Starting Grants an Tübinger Wissenschaftler. Hochdotierte Förderung für Projekte aus der Mathematik sowie der Physikalischen und Theoretischen Chemie.
Förderung seitens des ERC zur Realisierung von Forschungsgruppen
Zwei Wissenschaftler der Universität Tübingen haben sich erfolgreich um einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) beworben: Professor Marcello Porta aus der Mathematischen Physik erhält für sein Projekt „MaMBoQ“ zur Untersuchung von quantenmechanischen Vielteilchensystemen eine Förderung von rund einer Million Euro; Dr. Marcus Scheele aus der Physikalischen und Theoretischen Chemie wird vom ERC mit knapp 1,5 Millionen Euro gefördert für sein Projekt „COINFLIP“, in dem er schnelle optische Schalter für die Siliziumtechnologie entwickeln will. Die Projektförderung der ERC Starting Grants ist jeweils auf einen Zeitraum von fünf Jahren angelegt. Sie soll jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den Aufbau einer eigenen Forschungsgruppe ermöglichen.
Im Projekt „MaMBoQ – Macroscopic Behavior of Many-Body Quantum Systems“ – Makroskopisches Verhalten von quantenmechanischen Vielteilchensystemen – widmet sich Marcello Porta der Analyse großer Quantensysteme wechselwirkender Fermionen. Es besteht aus zwei Bereichen: In Teil A untersucht der Wissenschaftler Transporteigenschaften zweidimensionaler Gittersysteme, wie zum Beispiel Graphen, das aus einer zweidimensionalen Schicht aus Kohlenstoffatomen in der Anordnung eines hexagonalen Gitters besteht, oder topologische Isolatoren, die in ihrem Innern Nichtleiter sind, aber den Strom auf der Oberfläche widerstandsfrei leiten.
In Teil B will er effektive Entwicklungsgleichungen für fermionische Vielteilchensysteme in geeigneten Skalierungsgrenzen ableiten. In beiden Fällen geht es um die Validierung emergenter effektiver Theorien, also vereinfachter Modelle, die das makroskopische Verhalten komplexer Systeme näherungsweise beschreiben. Verschiedene mikroskopische Systeme können dabei oft durch dieselbe effektive Theorie beschrieben werden, ein Phänomen, das als Universalität bezeichnet wird. Die Validierung effektiver Theorien und ihrer Universalität ausgehend von einem fundamentalen mikroskopischen Modell, hier der Vielteilchenquantenmechanik, mithilfe mathematischer Methoden ist ein zentrales Ziel der Mathematischen Physik.
Graphen und topologische Isolatoren stoßen wegen ihrer bemerkenswerten Eigenschaften bei Physikern und Chemikern auf großes Interesse. Vernachlässigt man die Wechselwirkung unter den Elektronen, so konnten bereits einige Eigenschaften dieser Systeme mathematisch erklärt werden. In echten Proben wechselwirken die Elektronen jedoch und man muss sie als Gesamtheit betrachten. Porta will die Mathematik für diese komplexe Betrachtung weiterentwickeln.
Marcello Porta studierte Physik an der Universität La Sapienza in Rom und wurde dort 2011 promoviert. Als Postdoktorand forschte er an der ETH Zürich, der Universität Bonn und der Universität Zürich, wo er 2016 eine Assistenzprofessur für Mathematik erhielt. Seit Oktober 2017 ist Porta Professor im Fachbereich Mathematik der Universität Tübingen.
In seinem Projekt „COINFLIP – Coupled Organic Inorganic Nanostructures for Fast, Light-Induced Data Processing“ – Gekoppelte organisch-anorganische Nanostrukturen für die schnelle lichtinduzierte Datenverarbeitung – will Marcus Scheele sehr schnelle optische Schalter mit einer Reaktionszeit von wenigen Pikosekunden (billionstel Sekunden) entwickeln, die mit der Siliziumtechnologie kompatibel sind. Dies soll eine sehr schnelle Datenverarbeitung bei geringem Energieaufwand ermöglichen. Für die Schalter nutzt der Wissenschaftler dünne Filme mit hybriden Nanostrukturen, in denen organische und anorganische Stoffe gekoppelt sind. Er beschäftigt sich daher einerseits mit der Chemie anorganischer nanokristalliner Kolloide, fein verteilter Tröpfchen in einem Medium, und andererseits mit organischen Halbleitermolekülen.
Optische Schalter, die also über Lichtstrahlen gesteuert werden, spielen eine entscheidende Rolle bei der modernen Datenverarbeitung in der Siliziumphotonik. Sie kontrollieren die Schnittstelle zwischen optischen Fasern für die Datenübertragung und den elektronischen Verarbeitungseinheiten im Computer. Bisher bildet die Datenübertragung an diesen Schnittstellen eine Schwachstelle: Sie ist langsam im Vergleich mit den anderen Komponenten. Ließe sich die optische Schaltung beschleunigen, wären die Datenverarbeitungssysteme insgesamt schneller und leistungsfähiger.
Marcus Scheele studierte Chemie an der Universität Hamburg und wurde dort 2011 auch promoviert. Als Postdoktorand forschte er an der University of California in Berkeley, USA, und kehrte 2012 als Forschungsassistent nach Hamburg zurück. Seit 2013 ist Scheele Nachwuchsgruppenleiter am Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität Tübingen.
Kontakt:
Prof. Dr. Marcello Porta
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Fachbereich Mathematik
Telefon +49 7071 29-78571
marcello.porta[at]uni-tuebingen.de
Dr. Marcus Scheele
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Institut für Physikalische und Theoretische Chemie
Telefon +49 7071 29-76243
marcus.scheele[at]uni-tuebingen.de
Quelle: Pressemitteilung der Eberhard Karls Universität Tübingen vom 7. August 2018.
Bildquelle: Friedhelm Albrecht/Universität Tübingen