LandesNachrichtenPortal

FREIE WÄHLER und ÖDP klagen gegen 3%-Hürde vor dem Bundesverfassungsgericht / Rechtsvertreter Prof. von Arnim: „Gericht hatte auch 5% aus guten Gründen gekippt“

(LNP) Die FREIEN WÄHLER und die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) haben soeben Klage gegen die 3%-Klausel für Europa-Wahlen beim Bundesverfassungsgericht eingereicht mit der dringenden Bitte um eine rasche Entscheidung. Die Vorsitzenden beider Parteien, Hubert Aiwanger für die FREIEN WÄHLER, Sebastian Frankenberger für die Ökologisch-Demokratische Partei und der Verfassungsrechtler Professor Hans Herbert von Arnim haben heute in Berlin die Klage und inhaltlichen Mängel des 3 %-Gesetzes vorgestellt.

Die Bundestags-Fraktionen, mit Ausnahme der Linken, hatten das Gesetz, in kaum mehr als einer Woche, durch den Bundestag gepeitscht. Dringende Warnungen der eigenen Ministerialverwaltung und der Appell von 34 Staatsrechtlehrern wurden schlicht ignoriert. Die außerparlamentarischen Parteien mussten noch vier Monate warten, bis der Bundespräsident das Gesetz in diesen Tagen unterzeichnet hat. Jetzt können sie es endlich anfechten. Der lange Schwebezustand beeinträchtigte die Parteien in skandalöser Weise in ihren Wahlvorbereitungen.

Professor von Arnim konnte als gemeinsamer Prozessvertreter von FREIEN WÄHLERN und der Ökologischen Partei gewonnen werden. Er war bekanntlich vor zwei Jahren erfolgreicher Kläger gegen die Sperrklausel bei Europa-Wahlen! Das Urteil des Bundesverfassungs-gerichts vom 09. November 2011 hatte formal zwar nur die 5 %-Klausel, in seinen bindenden Gründen aber j e d e Sperrklausel bei deutschen Europa-Wahlen für verfassungswidrig erklärt.

Dazu sagt Prof. von Arnim: „Bis zum Urteil vom 9. November 2011 fielen Millionen Stimmen nicht nur unter den Tisch, nein, sie kamen auch noch den Glücklichen, die den Sprung ins Parlament geschafft hatten, zugute. Also Parteien und Kandidaten, die von den betreffenden Wählern gerade nicht gewählt worden sind. Das urdemokratische Recht der Gleichheit der Wahl und der Chancengleichheit der Parteien war lange aus Gründen des Macht – und Postenerhalts der Etablierten schwer verletzt worden. Durch das Urteil vom 9. November 2011 wurde das Kartell der politischen Klasse an einer empfindlichen Stelle geknackt. Da sich die etablierten Parteien das offenbar nicht gefallen lassen wollten, haben sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und dringende Warnungen ignoriert und eine 3-Prozent-Klausel eingeführt. Dagegen werden wir vorgehen!“

Hubert Aiwanger: „In der Europawahl 2009 wurde die Chancengleichheit von politischen Parteien stark beeinträchtigt. Von den gültigen Stimmen in Deutschland gingen rund 10 % schlicht verloren. Für die FREIEN WÄHLER war es der Verlust von 2 Mandaten. Dies darf nicht noch einmal passieren! Deshalb unsere berechtigte Klage“.
Sebastian Frankenberger: „Hätte das Urteil vom 9. November 2011 schon für die angefochtene Wahl gegolten, säßen die FREIEN WÄHLER und die ÖDP jetzt im Europäischen Parlament. Wir möchten unsere Chancen auf einen Einzug in das EU-Parlament im Mai 2014 wahren und beschreiten deshalb den Klageweg. Wir sind uns sicher, dass die Bundesverfassungsrichter nicht ihr eigenes Urteil ad absurdum führen und deshalb unserer Klage stattgeben. Dann wird jede abgegebene Stimme der Wähler gezählt und die größere Parteienvielfalt wird den Wählerwillen abbilden.“
Im Folgenden Auszüge aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2011:

Nummer 76/77

2. Das Europawahlgesetz ist deutsches Bundesrecht und als solches am Grundgesetz und den darin enthaltenen Grundsätzen der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der politischen Parteien zu messen.
Die verfassungsrechtliche Prüfung der deutschen Fünf-Prozent-Sperrklausel ist nicht durch verbindliche europarechtliche Vorgaben eingeschränkt. Nach Art. 8 Abs. 1 des Direktwahlaktes bestimmt sich das Wahlverfahren – vorbehaltlich unionsrechtlicher Vorgaben und der Vorschriften des Aktes – in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften. Danach gibt der Direktwahlakt nur einen Gestaltungsrahmen für den Erlass nationaler Wahlrechtsvorschriften vor, die selbst aber den verfassungsrechtlichen Bindungen des jeweiligen Mitgliedstaates unterliegen. Art. 3 des Direktwahlaktes eröffnet den Mitgliedstaaten lediglich die Möglichkeit, eine Mindestschwelle für die Sitzvergabe von landesweit bis zu 5 % der abgegebenen Stimmen festzulegen, begründet aber keine entsprechende Verpflichtung und lässt daher die Reichweite der innerstaatlichen Überprüfung der Vereinbarkeit einer solchen Regelung mit den durch das Grundgesetz verbürgten Wahlgrundsätzen unberührt.

Nummer 83

5. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel in § 2 Abs. 7 EuWG bewirkt eine Ungleichgewichtung der Wählerstimmen. Während der Zählwert aller Wählerstimmen von der Fünf-Prozent-Sperrklausel unberührt bleibt, werden die Wählerstimmen hinsichtlich ihres Erfolgswerts ungleich behandelt, je nachdem, ob die Stimme für eine Partei abgegeben wurde, die 5 % der Stimmen oder mehr auf sich vereinigen konnte, oder für eine Partei, die an der Fünf-Prozent-Sperrklausel gescheitert ist. Diejenigen Wählerstimmen, welche für Parteien abgegeben worden sind, die mindestens 5 % der Stimmen erhalten haben, haben unmittelbaren Einfluss auf die Sitzverteilung nach dem Verhältnisausgleich. Dagegen bleiben diejenigen Wählerstimmen, die für Parteien abgegeben worden sind, die an der Sperrklausel gescheitert sind, ohne Erfolg.

Nummer 84

Bei der Europawahl 2009 hatten in Deutschland von den gültigen Stimmen rund 2,8 Millionen, mithin circa 10 % der gültig abgegebenen Wahlstimmen keinen Erfolgswert.

Nummer 85

Zugleich wird durch die Fünf-Prozent-Sperrklausel der Anspruch der politischen Parteien auf Chancengleichheit beeinträchtigt. Nach Berechnungen des Bundeswahlleiters blieben bei der Europawahl 2009 in Deutschland sieben Parteien und sonstige politische Vereinigungen unberücksichtigt, die ohne die Fünf-Prozent-Sperrklausel bei der Sitzverteilung zum Zuge gekommen wären. Etwaige Auswirkungen der Sperrklausel auf das Wählerverhalten bleiben bei diesen Berechnungen unberücksichtigt.

Nummer 96

1. Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass das Europäische Parlament mit dem Wegfall der Fünf-Prozent-Sperrklausel in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werde, kann sich nicht auf ausreichende tatsächliche Grundlagen stützen und trägt den spezifischen Arbeitsbedingungen des Europäischen Parlaments sowie seiner Aufgabenstellung nicht angemessen Rechnung. Faktisch kann der Wegfall von Sperrklauseln und äquivalenter Regelungen zwar eine spürbare Zunahme von Parteien mit einem oder zwei Abgeordneten im Europäischen Parlament bewirken (a). Jedoch fehlt es an greifbaren Anhaltspunkten dafür, dass damit strukturelle Veränderungen innerhalb des Parlaments einhergehen, die eine Beeinträchtigung seiner Funktionsfähigkeit hinreichend wahrscheinlich erwarten lassen (b). Durch die europäischen Verträge sind die Aufgaben des Europäischen Parlaments so ausgestaltet, dass es an zwingenden Gründen, in die Wahl- und Chancengleichheit durch Sperrklauseln einzugreifen, fehlt (c).

Nummer 102

b) Es ist nicht erkennbar, dass durch die Zunahme von Parteien mit einem oder zwei Abgeordneten im Europäischen Parlament dessen Funktionsfähigkeit mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit beeinträchtigt würde. Die im Europäischen Parlament gebildeten Fraktionen verfügen über eine erhebliche Integrationskraft, die durch den Einzug weiterer Parteien ebenso wenig grundsätzlich in Frage gestellt werden dürfte (aa) wie ihre Absprachefähigkeit (bb). Das Risiko einer zu erwartenden Erschwerung der Mehrheitsbildung ist mit der Gefahr einer Funktionsbeeinträchtigung nicht gleichzusetzen (cc).

Nummer 118

c) Die Fünf-Prozent-Sperrklausel findet bei der Wahl zum Deutschen Bundestag ihre Rechtfertigung im Wesentlichen darin, dass die Bildung einer stabilen Mehrheit für die Wahl einer handlungsfähigen Regierung und deren fortlaufende Unterstützung nötig ist und dieses Ziel durch eine Zersplitterung des Parlaments in viele kleine Gruppen gefährdet wird. Der Gesetzgeber darf daher das mit der Verhältniswahl verfolgte Anliegen, dass die politischen Meinungen in der Wählerschaft im Parlament weitestgehend repräsentiert werden, in gewissem Umfang zurückstellen (vgl. BVerfGE 120, 82 <111> m.w.N.). Eine vergleichbare Interessenlage besteht auf europäischer Ebene nach den europäischen Verträgen nicht. Das Europäische Parlament wählt keine Unionsregierung, die auf seine fortlaufende Unterstützung angewiesen wäre. Ebenso wenig ist die Gesetzgebung der Union von einer gleichbleibenden Mehrheit im Europäischen Parlament abhängig, die von einer stabilen Koalition bestimmter Fraktionen gebildet würde und der eine Opposition gegenüberstünde. Erst recht gilt dies für Informations- und Kontrollrechte des Parlaments, die auch in den nationalen Parlamenten herkömmlich als Minderheitenrechte ausgestaltet sind. Deshalb fehlt es an zwingenden Gründen, in die Wahl- und Chancengleichheit durch Sperrklauseln einzugreifen, so dass der mit der Anordnung des Verhältniswahlrechts auf europäischer Ebene verfolgte Gedanke repräsentativer Demokratie (Art. 10 Abs. 1 EUV) im Europäischen Parlament uneingeschränkt entfaltet werden kann. Damit steht im Einklang, dass der europäische Normgeber keine Notwendigkeit gesehen hat, selbst Vorkehrungen gegen eine „Zersplitterung“ des Europäischen Parlaments zu treffen, sondern den Mitgliedstaaten lediglich die Möglichkeit eröffnet hat, für die Sitzvergabe eine Mindestschwelle festzulegen (Art. 3 des Direktwahlaktes) oder vergleichbar wirkende Gestaltungen des Wahlrechts vorzusehen.

Nummer 126

dd) Auch der Charakter der Wahl als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung und der im Primärrecht vorgesehene Europabezug der Parteien (vgl. Art. 10 Abs. 4 EUV-Lissabon) rechtfertigen es nicht, kleineren Parteien mithilfe einer Sperrklausel den Einzug in das Europäische Parlament zu verwehren. Es ist nicht Aufgabe der Wahlgesetzgebung, die Bandbreite des politischen Meinungsspektrums – etwa im Sinne besserer Übersichtlichkeit der Entscheidungsprozesse in den Volksvertretungen – zu reduzieren. Vielmehr ist gerade auch auf europäischer Ebene die Offenheit des politischen Prozesses zu wahren.

Dazu gehört, dass kleinen Parteien die Chance eingeräumt wird, politische Erfolge zu erzielen. Neue politische Vorstellungen werden zum Teil erst über sogenannte Ein-Themen-Parteien ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Es ist gerade Sinn und Zweck der parlamentarischen Debatte, entsprechende Anregungen politisch zu verarbeiten und diesen Vorgang sichtbar zu machen (vgl. zum Ganzen BVerfGE 111, 382 <403 ff.>).

Steffen Große
Bundespressesprecher FREIE WÄHLER – die Unabhängigen
Mobil – 01523 37 10 103   /  www.freiewaehler.eu 
Bundespressestelle
Erich-Ponto-Str. 19 / 01097 Dresden / Haltestelle Regierungsviertel (Bus/Bahn)
Büro Berlin / Luisenstr. 41

Die mobile Version verlassen