Zusammenfassung eines Beitrags von Martin Haase für Peira – Gesellschaft für politisches Wagnis e.V.
(LNP) Der Sozialliberalismus wird oft auch als Linksliberalismus bezeichnet. Allerdings ist die Bezeichnung Sozialliberalismus besser, weil sie einerseits den Inhalt dieser politischen Richtung besser wiedergibt und andererseits internationaler ist.
Wie alle Formen des Liberalismus definiert sich der Sozialliberalismus aus dem Konzept der Freiheit. Dabei sind drei Aspekte von Freiheit zu unterscheiden: Freiheit vom Staat (negative Freiheit), Freiheit für den Staat (positive Freiheit)und Freiheit durch den Staat.
Bei der Freiheit vom Staat wird der Staat als Widersacher der Freiheit gesehen. Um die Selbstbestimmung des Individuums zu gewährleisten, verfügt dieses über Abwehrrechte gegen den Staat (negative Freiheit). Wie wichtig dieser Aspekt ist, zeigt sich in jüngster Zeit bei den staatlichen Übergriffen auf die Privatsphäre des Einzelnen durch Überwachung und Vorratsdatenspeicherung.
Zu den negativen Freiheitsrechten treten die positiven: die „republikanische“ oder positive Freiheit für den Staat: die Mitverantwortung für das gemeinschaftliche Zusammenleben durch Demokratie und politische Beteiligung. Es geht hier um die Freiheit, sich als Individuum selbstbestimmt politisch einzubringen und mitzubestimmen.
Aus negativer und positiver Freiheit ist eine Freiheit dritter Ordnung ableitbar: die Freiheit durch den Staat: Der Staat garantiert die negativen und positiven Freiheitsrechte. Dabei bliebe die Zusicherung formaler Freiheit ohne eine hinreichende materielle und soziale Absicherung abstrakt. Denn wer in Not ist, kann sich negative und positive Freiheit gar nicht leisten. Erst die Freiheit von Not ermöglicht überhaupt Selbstbestimmung und Teilhabe, also die reale Ausübung von Freiheit. Der Staat schafft die Bedingungen für die reale Freiheitsausübung, nämlich soziale Sicherheit und Gerechtigkeit. Diese Auffassung ist zentral für den Sozialliberalismus. Nicht damit verbunden ist, dass sich der Staat über die Sicherung der Teilhabe hinaus um die Versorgung seiner Bürger kümmert. Der Sozialliberalismus ist nicht blind staatsgläubig, weil ja die Abwehrrechte gegen den Staat nicht ausgeblendet werden. Übergriffe auf die Selbstbestimmung müssen vermieden werden.
Überhaupt lassen sich alle Formen des Liberalismus auf einem Kontinuum zwischen den verschiedenen Aspekten von Freiheit anordnen. So steht das Zusammenspiel positiver und negativer Freiheiten im Mittelpunkt des klassischen Liberalismus, der Wirtschaftsliberalismus der neueren FDP sieht im Staat zumindest den Garanten für freie Märkte, setzt aber noch stärker auf Deregulierung als der Ordoliberalismus, der offenbar in der FDP in letzter Zeit an Bedeutung gewinnt. Der Sozialliberalismus war schließlich Programm der F.D.P. (damals noch mit den Punkten) von 1971 bis 1977. In den damals formulierten Freiburger Thesen der F.D.P. zur Gesellschaftspolitik (F.D.P. 1971) heißt es:
„Freiheit und Glück des Menschen sind für einen solchen Sozialen Liberalismus danach nicht einfach nur eine Sache gesetzlich gesicherter Freiheitsrechte und Menschenrechte, sondern gesellschaftlich erfüllter Freiheiten und Rechte. Nicht nur auf Freiheiten und Rechte als bloß formale Garantien des Bürgers gegenüber dem Staat, sondern als soziale Chancen in der alltäglichen Wirklichkeit der Gesellschaft kommt es ihm an.“
Wichtig wird der Sozialliberalismus in der F.D.P. (damals mit Punkten abgekürzt) in der Zeit der sozialliberalen Koalition. Sozialliberales Gedankengut fand hier Eingang in die Parteiprogrammatik mit den Freiburger Thesen (F.D.P. 1971).
Doch die Freiburger Thesen prägten die FDP nur für einen kurzen Zeitraum: 1977 wurden sie wieder verworfen. Mit dem Ende der sozialliberalen Koalition 1982 geriet auch der Sozialliberalismus in Vergessenheit. Weiterentwickelt wurde sozialliberales Gedankengut erst in jüngster Vergangenheit angesichts einer neuen sozialen Frage, nämlich wie die postindustrielle Gesellschaft aussehen soll, in der Maschinen immer mehr Arbeit übernehmen, so dass an Vollbeschäftigung nicht mehr zu denken ist. Die Gesellschaft des 21. Jahrhundert wird sich im Gegensatz zur industriellen Epoche nicht mehr über regelmäßige Lohnarbeit definieren. Stattdessen werden kreative Tätigkeiten, Pflege, Erziehung, Betreuung, Kommunikation, Heimarbeit, vernetzte (kollaborative) Zusammenarbeit und ehrenamtliche Tätigkeiten breiten Raum einnehmen. Mit dem Verschwinden des klassischen Lohnempfängers steht die soziale Absicherung vor neuen Problemen.
Vor diesem Hintergrund hat die Piratenpartei Deutschland als Weiterentwicklung des schon von John Stuart Mill entwickelten Konzepts der „equal opportunity“ ein Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe in ihr Grundsatzprogramm aufgenommen:
„Jeder Mensch hat das Recht auf eine sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe. Die Würde des Menschen zu achten und zu schützen ist das wichtigste Gebot des Grundgesetzes. Ein Mensch kann nur in Würde leben, wenn für seine Grundbedürfnisse gesorgt und ihm gesellschaftliche Teilhabe möglich ist. In unserer Geldwirtschaft ist dazu ein Einkommen notwendig. […]
Die Piratenpartei setzt sich daher für Lösungen ein, die eine sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe individuell und bedingungslos garantieren und dabei auch wirtschaftliche Freiheit erhalten und ermöglichen. Wir wollen Armut verhindern, nicht Reichtum.“
Den Sozialliberalismus der Piratenpartei machen hier zwei gegenläufige Prinzipien aus: auf der einen Seite geht es darum, dass jedes Individuum sich möglichst frei entfalten kann, auf der anderen Seite muss aber auch im Sinne Mills für alle die gleiche Möglichkeit zur Teilhabe („equal opportunity“) gewährleistet sein. Denn wie bei einem Spiel verliert derjenige, der gar nicht erst die Möglichkeit zur Teilhabe im Sinne der „equal opportunity“ hat, sehr schnell die Lust auf das Spielen. Auf die Gesellschaft übertragen bedeutet das, dass niemand von vornherein ausgeschlossen sein darf, sondern zumindest die Bedingungen erfüllt sein müssen, damit alle Menschen teilhaben können.
Das Wesen des modernen Sozialliberalismus der Piratenpartei ist also die Vereinbarkeit von freier Entfaltung und die Möglichkeit der Teilhabe. Auf der Peira-Website wird ausgeführt, wie die Piratenpartei abstrakte Prinzipien am Beispiel der Sozial-, Geld-, Drogen- und Sucht-, Geschlechter- und Familien- und Verkehrspolitik in konkrete Politik umgesetzt werden können.
Grundlage der Zusammenfassung ist die Schriftfassung des Vortrags von Prof. Martin Haase auf der Tagung „Was ist Liberalismus?“ der Jungen Liberale Nürnberg am 1. Februar 2014. Die Schriftfassung geht über die mündlich vorgetragene Fassung hinaus, um auch noch Fragen zu berücksichtigen, die in der anschließenden Diskussion aufgeworfen wurden.
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