(LNP) Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eigentlich ein alter Hut. Inzwischen gibt es kaum noch große Betriebe in Schleswig-Holstein, die nicht von der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen profitieren. Es spielt für den Arbeitgeber inzwischen keine Rolle mehr, aus welchem EU-Land der Bewerber oder die Bewerberin kommt – wichtig ist nur, dass er oder sie mit den Vorkenntnissen und dem Knowhow in den Betrieb passt. Laut Statistikamt Nord kommen von den knapp 860.000 Beschäftigten am Stichtag 31.12.21012 in Schleswig-Holstein allerdings nur 14.465 aus dem EU-Ausland; das sind 1,7% aller Beschäftigten. Eine Randerscheinung. Schleswig-Holstein ist also nicht gerade das El Dorado für Beschäftigten, die aus dem Ausland kommen und in Deutschland arbeiten wollen. Wir führen also eine Stellvertreter-Debatte.
Die Freizügigkeit für Arbeitnehmer ist historisch gewachsen. Ich möchte daran erinnern, dass vor allem die Gewerkschaften diese Grundfreiheit anmahnten, nachdem sich die alte EWG jahrelang nur für den freien Waren- und Kapitalverkehr stark gemacht hat. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten sich die besten Arbeitsbedingungen aussuchen können und zwar ausdrücklich mit einem minimalen bürokratischen Aufwand. Damit sollte eine Art Waffen-Gleichheit zum freien Kapitalfluss erreicht werden.
Deutschland hat sich allerdings schwer getan mit der Freizügigkeit, als diese im Zuge der Osterweiterung für alle Mitgliedsländer gelten sollte. Deutschland wollte sich nämlich weiterhin abschotten, unter anderen, weil ja nicht einmal die Integrationsprobleme derjenigen Beschäftigten gelöst worden war, die schon in Deutschland arbeiten und vor allem aus der Türkei gekommen waren. Die öffentliche Diskussion unter der Regierung Schröder hörte sich damals fast genauso an, wie das, was wir heute hören. Einwanderungspolitik wurde schon vor zehn Jahren mit Angstvokabeln diskutiert. Schließlich waren die Befürchtungen so stark aufgebauscht, dass es bis zum 1. Mai 2011 gedauert hat, bis Deutschland als einer der letzten EU-Staaten seinen Arbeitsmarkt für osteuropäische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geöffnet hat. Da hatten Länder wie Schweden oder Großbritannien schon sieben Jahre Erfahrung mit der Zuwanderung. Deren gute Erfahrungen wurden aber in Deutschland ignoriert.
Diese Abschottung hatte Folgen: Ich erinnere mich an die immensen Hürden, die es im Grenzland zu überwinden galt, wenn ein Flensburger zum Beispiel in Sonderburg arbeiten wollte – und umgekehrt. Auch wenn heute immer noch zu viele Formalitäten zu bewältigen sind, gilt die Freizügigkeit aber inzwischen als Erfolgsmodell. Als die Wirtschaft lahmte, konnten deutsche Arbeitnehmer in dänische Betriebe wechseln, entgingen so der Arbeitslosigkeit und blieben langfristig der Region erhalten. Der gemeinsame deutsch-dänische Arbeitsmarkt war jahrelang ein regelrechter Jobmotor für die gesamte Region im Norden.
Die europäische Statistik wies noch bis zum Jahre 2009 aus, dass mehr Deutsche sich einen Job im Ausland suchten als Ausländer in Deutschland. Freizügigkeit ist also keine Einbahnstraße, wie einige Populisten uns weismachen wollen. Die sollten sich mal umhören in der Flensburger Agentur für Arbeit, wie intensiv die Vermittlung über die Grenze hinweg inzwischen geworden ist. Das ist dort Alltag, von dem auch die Betriebe auf beiden Seiten der Grenze enorm profitieren, denen durch die Freizügigkeit ein größerer, internationaler Bewerbermarkt zur Verfügung steht!
Über die Vorteile der Freizügigkeit besteht, auch mit der antragstellenden FDP-Fraktion – das kann man ja dem Antragstext zweifelsfrei entnehmen – absolute Einigkeit. Allerdings hört die Gemeinsamkeit beim Wort Armutszuwanderung auf – auch, wenn das Wort im Antrag relativierend in Anführungszeichen gesetzt wurde. Nicht von ungefähr hat es das ihm verwandte Wort Sozialtourismus geschafft, Platz Eins unter den Unwörter des Jahres einzunehmen. Die Sprachwissenschaftlerin Nina Janich begründete das folgendermaßen: „Dies diskriminiert Menschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu.“ Dem gibt es eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
Arbeitnehmerfreizügkeit ist ein Grundrecht innerhalb Europas. An diesem Grundrecht wird der SSW niemals rütteln! Das ist kein Denkverbot. Im Gegenteil, wir müssen diese Debatte führen, aber nicht mehr länger als Angst-Debatte, sondern als das gemeinsame Ringen um Fairness. Schon 2004 warnte der deutsche Gewerkschaftsbund vor Dumping-Löhnen, die durch die massenhafte Beschäftigung polnischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Normalität werden könnten. Konkurrenz belebt eben nicht nur das Geschäft, sondern Mehrangebot macht auch die Preise kaputt. Darum brauchen wir einen existenzsichernden Mindestlohn für alle. Darin liegt die Chance, die in der Arbeitnehmerfreizügigkeit liegt. Letztlich führt die Öffnung des Arbeitsmarktes dazu, dass endlich Wildwuchs und Ausbeutung beendet werden, weil sich der Horizont durch die Zuwanderung öffnet. Gut so, dass wir nicht mehr länger nur im eigenen Saft schmoren.
SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag
Per Dittrich, Pressesprecher
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