Weg zur risikoarmen Reparatur fehlerhafter genetischer Information
Forscher der Universität Tübingen entwickeln die RNA-Editierung weiter als Grundlage für medizinische Therapien. Die Anwendung der Crispr/Cas-Methode beim Menschen, bei der mit einer Art Genschere die Erbinformation DNA dauerhaft verändert wird, steht stark in der Kritik. Zwar ist die Methode prinzipiell zur Gentherapie bei erblichen Krankheiten geeignet. Wenn bei der Behandlung jedoch Fehler auftreten, bleiben diese in der DNA verankert und werden an Nachkommen weitergegeben. Professor Thorsten Stafforst vom Interfakultären Institut für Biochemie der Universität Tübingen arbeitet gemeinsam mit seinem Team an einer risikoärmeren Methode zur Reparatur fehlerhafter genetischer Information: der RNA-Editierung. Dabei werden Änderungen jeweils nur an einer Arbeitskopie der DNA vorgenommen, die zeitnah abgebaut wird.
So bleibt eine Behandlung zeitlich befristet. Die Forscher hatten bereits im Juli gemeldet, dass sie an Zellkulturen im Labor Gendefekte mit hoher Effizienz und Präzision ausgleichen konnten. Nun ist ihnen ein weiterer entscheidender Schritt für die Nutzung der Methode als Therapie gelungen: Statt künstliche Proteine zuzusetzen, können sie auf körpereigene Enzyme zugreifen. Ihre Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Biotechnology veröffentlicht.
In der DNA sind Bauanleitungen für unzählige Proteine als lange Abfolgen von vier verschiedenen Buchstaben kodiert. Werden bestimmte Proteine in der Zelle benötigt, wird der betreffende DNA-Abschnitt in ein chemisch ähnliches RNA-Molekül umkopiert, die sogenannte Boten-RNA. Diese wandert aus dem Zellkern ins Zellplasma, wo nach ihrer Anleitung das Protein zusammengesetzt wird.
Stafforst und sein Team arbeiten unter anderem mit der erblichen Stoffwechselerkrankung Antitrypsinmangel, die zu Leberzirrhose, Leberkrebs oder einem Lungenemphysem führen kann. Ursache ist hier nur ein falscher Buchstabe in der Bauanleitung der DNA – und entsprechend in der Boten-RNA. Dieser Fehler kann jedoch schwerwiegende Folgen haben, weil die betreffenden Proteine nicht funktionsfähig sind. Die Forscher können den falschen Buchstaben korrigieren. „Wir schleusen ein künstlich erzeugtes Molekül in die Zellen ein, ein sogenanntes Antisense-Molekül, das sich gegengleich an die Boten-RNA anlagert, bis auf die eine fehlerhafte Stelle, die wir durch den korrekten Buchstaben ersetzen“, erklärt Erstautor Tobias Merkle aus dem Team von Stafforst.
Außerdem trägt das zugegebene Molekül eine Bindungsstelle für ein bestimmtes körpereigenes Enzym, das in der Zelle vorhanden ist und sich anheftet. Es ist darauf spezialisiert, den Paarungskomplex von Antisense-Molekül und der Boten-RNA zu erkennen und zu reparieren. „Dabei wird gezielt der Fehler bereinigt und anschließend ein korrektes Protein hergestellt“, sagt der Forscher.
Hohe Effizienz und Präzision
„Dass wir nun für diesen Schritt ein körpereigenes Enzym nutzen können, ist ein großer Erfolg“, erklärt Thorsten Stafforst. „Vorher haben wir dafür unseren Zellkulturen ein künstliches Protein mit einer Führungs-RNA zugesetzt. Das funktionierte zwar im Labor sehr gut. Es wäre jedoch schwierig, dieses Konstrukt als Medikament in die Leberzellen zu transportieren.“ Die Forscher arbeiten weiter daran, die Effizienz zur Korrektur des Genfehlers zu steigern. „Möglicherweise wäre Menschen mit schwerem Antitrypsinmangel bereits gut zu helfen, wenn wir die Hälfte der fehlerhaften Boten-RNAs korrigieren könnten“, sagt Merkle. Die Präzision der Methode sei bereits sehr gut: Auch wenn das zugegebene künstliche Molekül in alle Körperzellen gelangte, griffe es nur dort an, wo die passende Boten-RNA zu finden ist.
Die Forscher beobachten in einigen Fällen, dass auch an anderen Stellen als beabsichtigt ein Buchstabe ausgetauscht wird. Negative Folgen seien bisher nicht zu erkennen, sagt Stafforst. Die Universität Tübingen hat auf die Methode zur RNA-Editierung, die auch auf andere genetisch bedingte Erkrankungen angewendet werden kann, ein Patent angemeldet. Bis zur Entwicklung von Medikamenten für den Menschen sei es jedoch noch ein langer Weg, so die Wissenschaftler.
Pressekontakt:
Prof. Dr. Thorsten Stafforst
Universität Tübingen
Interfakultäres Institut für Biochemie
Telefon +49 7071 29-75376
thorsten.stafforst[at]uni-tuebingen.de
Quelle: Pressemitteilung Universität Tübingen vom 28.01.2019
Bildquelle: Universität Tübingen