(LNP) Seit Wochen diskutiert man in der Bundesrepublik über das richtige Verhältnis zur Russischen Föderation. Wie lässt sich in Einklang bringen, dass man Russland als „strategischen Partner“ an Europa bindet und gleichzeitig eine erfolgreiche, auswärtige Menschenrechtsrechtspolitik betreibt? Das ist, um es auf den Punkt zu bringen, nichts anderes als die Suche nach einer starken Länderfreundschaft, die auch Kritik ertragen kann. Ein wünschenswertes Ziel ist das allemal, doch leider wird die Debatte von den Extremen dominiert.
Die Piratenpartei macht in ihrem Programm unmissverständlich klar, dass die Förderung von Menschenrechten der Kern deutscher Außenpolitik sein muss. Wenn Bandmitglieder der regierungskritischen PussyRiot-Gruppe zu zwei Jahren Haft verurteilt werden, wenn alle paar Jahre Journalisten auf offener Straße erschossen werden und wenn politische Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen durch Razzien schikaniert werden, dann ist das sicher kein Anzeichen von einem Russland auf dem Weg zur Demokratie. Da kann man auch keine hundert Jahre abwarten, wie das Premierminister Medwedew gefordert hat.
In einer Antwort auf einen Beitrag Jörg Laus in der ZEIT bezeichnete der Leiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) diese Position als Rechthaberei und verwies auf das Machbare. Er forderte: „Raus aus der Moralecke!“. Ein bisschen Recht haben beide.
Die Krux menschenrechtsgeleiteter Außenpolitik ist, dass sie nicht nur Gegenwart und Zukunft, sondern auch eine Vergangenheit kennt. Und des russisch-westlichen Verhältnisses in den Neunzigern kann sich keine Seite rühmen. Zur Zeit Jelzins hat Europa nämlich des öfteren beide Augen verschlossen, wenn im Zuge der Turboliberalisierung des russischen Marktes ein, zwei oder mehrere Menschenrechte verletzt oder gar offen angegriffen wurden. Die russische Bevölkerung hat diese Tage nicht vergessen. Auch heute sehen wir diese Selektivität weiterhin. Die CDU beispielsweise ignoriert weitestgehend die besorgniserregenden Vorgänge in Ungarn, denn dort regiert Viktor Orbán von ihrer Schwesterpartei Fidesz.
Menschenrechte glaubwürdig vertreten – das geht nur, wenn Außenpolitik gewissermaßen mechanischer, mathematischer und rationaler wird. Menschenrechtsverletzung A sowohl in Land B als auch C muss also immer zur Reaktion D führen. Das verlangt selbstverständlich, in einem Grundsatzpapier klipp und klar diejenigen Werte zu definieren, für die man tatsächlich bereit ist, einzustehen. An einer solchen Schrift fehlt es in Deutschland immer noch, was diese Debatte eindrücklich zeigt.
Letztendlich scheitert die deutsche und europäische Russlandpolitik an einer gewissen Überheblichkeit in sicherheitspolitischen Fragen. Jedes Mal, wenn Russland Bedenken anmeldet, sich bedroht fühlt, kommen von hierher nur abwiegelnde und beschwichtigende Worte. Man nimmt die Sicherheitsinteressen Russlands schlichtweg nicht ernst. Das wiederum verschließt jeglichen Zugang zum Dialog über alle möglichen Fragen. Hier möchte ich ganz deutlich sein: Man muss die Großmachtaspirationen und zum Teil auch Paranoia der russischen Führungselite nicht teilen. Gesteht man sich allerdings bestimmte Interessen erst einmal gegenseitig zu, kann immer noch über deren Art und Weise der Verwirklichung sprechen und Vertrauen schaffen.
Russland möchte ernst genommen werden. Am besten können wir ihnen diese Ernsthaftigkeit entgegenbringen, indem wir nicht jeden Vorschlag unter Generalverdacht stellen. So hat 2008 der damalige Präsident Medwedew gefordert, eine Art neuen KSZE-Vertrag aufzusetzen. Daraus geworden ist nichts, weil der Vorstoß belächelt wurde. Fest steht allerdings: Mit einer europäischen Sicherheitsarchitektur, die Russland nicht einzubinden vermag, können auch wir nicht zufrieden sein. Schlussendlich gehört zum Ernstnehmen auch, die Mechanismen hinter den Argumenten zu beleuchten statt beim Nein-Doch-Spiel zu bleiben.
Wir müssen Sorge dafür tragen, die eigenen Doppelstandards abzubauen und einander auf Augenhöhe zu begegnen. Das verlangt viel Arbeit und ein akribisches Monitoring der globalen Menschenrechtslage. Aber wer hat gesagt, dass Glaubwürdigkeit in der Außenpolitik einfach zu erhalten ist? Ich bin der Überzeugung, dass der Westen so im Kreml auf offenere Ohren in Menschenrechtsfragen stoßt. Mir jedenfalls fällt das Bekenntnis zur „Moralecke“ so leichter.
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Stefan Täge /
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